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Futter bei die Fische

Ein perfekter Start. Vier Windstärken. Unser betagtes, leicht ergrautes Großsegel steht erfreulich gut am Wind und die neue Genua wölbt ihre blendenden 77 Quadratmeter Tuch zu einer stolzen Blase unterm Himmelsblau. Etwas ungläubig beobachten wir die Geschwindigkeitsanzeige, die seit einer Stunde zwischen acht und neun Knoten pendelt. Das sind drei Meilen mehr pro Stunde als geplant.

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So großartig das Tempo auch sein mag, wenn es so weiter geht, können wir unsere Ankunftszeit auf Menorca auf drei Uhr nachts vorverlegen, was Ankern oder Anlegen bei Dunkelheit in unbekannten Gewässern bedeuten würde. Ach nö, das wollen wir nicht. Außerdem nimmt der Wind stetig zu, so dass wir das Vorsegel ganz wegrollen, zwei Reffs ins Großsegel binden und nunmehr immer noch mit fünf sechs Knoten dahin rauschen. Und wie es so ist auf den Meeren der Welt, auch im Mittelmeer bäumen sich die Wellen entsprechend der Windstärke, was unterdessen dazu führt das wir uns in Lee an der Reling abwechseln, manchmal aber auch traut nebeneinander hockend die Fische füttern. Die sonst so kampferprobten Scoboderm-Pflaster müssen in der katalanischen Sommerhitze im Badschrank ihre Wirkung eingebüßt haben. Ich weiß, dass ich nicht vollkommen seefest bin und vermeide bei unkomfortablen Bedingungen bestimmte Tätigkeiten unter Deck und Kopfüberhaltungen. Mein letzter Ausfall ist mindestens zwölf Jahre her. Ganz dunkel erinnere ich mich an einen Männertörn auf der Ostsee, bei dem allerdings die Gestaltung des Vorabends wesentlichen Einfluss auf die Kondition am Folgetag hatte.

Jedenfalls beruhigt sich mit dem Annähern an die Insel im Morgengrauen alles ein wenig und unsere Sommerbräune drängt die graugrünen Schatten aus den Gesichtern. Ein kurzer Blick in die ursprünglich favorisierte Ankerbucht an der Südküste genügt um die Unmöglichkeit dieses Vorhabens zu bestätigen, denn die noch annähernd zwei Meter hohen Wellen finden ihren Weg um die Ecke und schieben sich noch hoch auf den Strand. Vorsorglich hatten wir einen Liegeplatz im Innenhafen von Ciutadella reserviert. Die strahlend hübsche Marinera lotst uns lächelnd mitten in den kleinen Altstadthafen und wir beziehen erfreut die einzige freie Lücke, wie im Mittelmeer üblich mit dem Heck zum Land, knapp fünfzehn Meter vom nächsten Restaurant entfernt.

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Ciutadella ist wahrlich ein pittoreskes Städtchen. Am eindrucksvollsten ist der Blick von der Hafeneinfahrt aus auf die von der tiefstehenden Abendsonne besonders schön in Szene gesetzten alten Gebäude auf den Hügeln beidseitig der kleinen Hafenbucht. Durch die Altstadt, die sich in erstaunlich gutem Zustand und blitzsauber präsentiert, winden sich labyrinthartig verwinkelte Gassen und Sackgassen, mit denen die gewitzten Altvorderen die Feinde seinerzeit und uns derzeit erfolgreich in die Irre führten. Der vermögende Inseladel klotzte im 19. Jahrhundert bemerkenswert schöne, des kleinen Städtchens womöglich etwas unangemessen üppige Paläste um die schönsten Parks und Plätze.

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Für solch ein überschaubares Eiland erweisen sich unsere Räder als perfekte Fortbewegungsmittel, zumal der Straßenverkehr generell sehr dünn und gemächlich ausfällt und viele einsame schmale Wege, meist von endlosen Natursteinmauern gesäumt die Insel überziehen. Rund um die gesamte Insel verläuft der Cami de Cavalls, der alte Pferdepfad. Gutes Schuhwerk und ausreichend Proviant vorausgesetzt kann man auf dem meist an der Küste verlaufenden Weg großartige Wanderungen unternehmen.

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Nach den Wochen in Premia, bei denen unsere Sozialkontakte auf beteiligte Boots-Handwerker, desinteressierte Marineros und die Kassiererin im nahen Supermarkt beschränkt blieben, ergab sich hier eine erfreuliche Bekanntschaft mit den australischen Bootsnachbarn. Und wie so oft waren Besuch und Gegenbesuch mit gegenseitiger Bootsbesichtigung obligatorisch. Gekrönt wurden die gemeinsamen Stunden durch die spontane Ausrichtung des fünften Geburtstages des Sohnemanns in unserem Salon und der damit verbundenen Gelegenheit etwas Großelterntraining zu absolvieren. Bekanntermaßen hielt Tore, unser Bordmechaniker, bislang den einsamen Spitzenplatz in Turbo-Bootsverwüstung. Dem Geburtstagskind und seiner kleinen Schwester gelang es in kürzester Zeit diesen Rekord zu zerstäuben.

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Die sichtbaren Spuren der Geschichte gehen zurück bis in die Bronzezeit. Aus dieser Periode, der Talayotischen Zeit finden wir eine Menge beeindruckender Gebäudereste, Grab- und Kultstätten. Unsere Altvorderen müssen noch echte Kerle gewesen sein. Unvorstellbar, wieviel riesige Steinbrocken die gebrochen, bearbeitet und obendrein über die Insel getragen und aufeinandergeschichtet haben. Und für den Kirchgang, gewissermaßen als Altartisch, wuchten wir noch schnell die zehn Tonnen schwere Steinplatte mehr als vier Meter hoch auf die eben eingebuddelte Tischbeinplatte, die doppelt so schwer war. Ja, unsere Verstorbenen sollen es mal besser haben …

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Ansonsten war die Geschichte der kleinen Baleareninsel so wechselhaft wie man es von einer exponiert mitten im Mittelmeer liegenden Insel erwarten kann. Ob Karthager, Römer, Osmanen, Mauren, Franzosen oder Briten, alle waren mal glückliche Eigentümer und haben natürlich ihre Spuren hinterlassen. Auch wenn Menorca schon 200 Jahre zu Spanien gehört, hat man oft den Eindruck, dass die pensionierten Ururururenkel der britischen Besetzer die Insel noch immer beherrschen, obwohl der Tourismus derzeit fast vollständig zum Erliegen gekommen ist. Anscheinend sind wir in einem bewährten Rentnerparadies für der ewigen Wintergräue entflohene Nordeuropäer gelandet? Wir können es gerade bestens nachempfinden.

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Nach 10 Tagen an der Uferpromenade verdrücken wir uns „unten herum“, wollen in einer der entzückenden Buchten an der Südküste den Anker werfen. Wind passt in Stärke und Richtung. Wir klappern diverse Calas ab und landen letztlich nach drei Stunden in der überwältigenden Cala Macarella. Der Anker geht vor der sich an die Macarella Mama anschmiegenden, zauberhaften Tochter Cala Macarelleta auf den sandigen Grund. Wir fassen es nicht, sind überrascht und überwältigt von diesem Ort. Hoffentlich genehmigen uns die Windgeister hier ein paar Tage.

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