Porto Santo – Heiliger Bimbam – Santa Maria

Porto Santo – Heiliger Bimbam – Santa Maria

Der Jockel brummelt vor sich hin, wir nehmen bei wenig Wind Abschied von diesem tranquilen Atlantikinselchen und gehen, da wir uns etwas nördlicher halten wollen, östlich herum auf Kurs Azoren. Die Gipsys, die eine Stunde früher aus den Federn gekrochen sind, hatten sich für die kürzere Westroute entschieden, aber die laufen auch höher an den Wind. Geplante Ankunft für die 500 sm wäre Freitag, also in vier Tagen. Am frühen Nachmittag ziehen wir alles Tuch raus, aber mehr als 3 kn können wir dem Lüftchen nicht abringen, zumal Golfstrom und Wellen uns entgegenstehen. Zugegeben, als es am kommenden Morgen noch lauer wehte und zum segeln zu wenig und zum motoren zu viel war, haben wir geschummelt und eine Segel-Motor-Arbeitsgemeinschaft gebildet.

Atze, nun kommt `s:

Morgens um 10, zweiter Tag. Anke ging ihrer Lieblingsbeschäftigung nach, stierte und starrte, rief nach Delfinen und spähte nach Walen (haha, bei 3 – 4 m Welle). Ich hatte es gerade geschafft einen Südwester voll Schlaf einzufangen. Bis mich die harsche Aufforderung der „Morgenwache“, schleunigst im Cockpit zu erscheinen, aus dem Schaukelhimmel riss. Ihrem Ruf: „wir haben Feuer im Maschinenraum“ konnte ich noch keinen klaren Gedanken entgegensetzen. Diese Art Weckruf oder gar Scherz passen nicht zur Skipperin, auch sind sie auf Booten fern von Land grundsätzlich nicht angebracht. Der Blick in die geöffnete Motorluke auf die knisternd lodernden Bowdenzüge von Gas und Schaltung waren überzeugend. Flammen fraßen die Plastikhüllen der Züge wie Lunten und entwickelten beißenden fetten Qualm. Die Skipperin war hellwach und bewundernswert nüchtern und gefasst, gab mir, der ich noch zähen Morgennebel im Hirn hatte, klare Ansagen. Motor aus, Hauptschalter aus; FreiKerl geht brav freiwillig in den Beilieger. Erkenntnis nach erster Konfusion: Gut: keine Elektrokabel, weniger gut: die Flammen fressen sich in der einen Richtung über die Schläuche zum Motor und in der anderen zusehens durch das mit Farbdosen, Verdünnung und anderem gut brennbarem Malerkram gefüllte „Kellerfach“ zum darüber liegenden Schalthebelgehäuse in der holzverschlagenen Heckkabine, in der auf der Matratze die Taschen mit unseren goldenen Falträdern mit Isomatten und Schlafsäcken verkeilt stecken. Holy Moly!

Erste Löschversuche mittels Wasser in Thermoskanne aus dem Bordtank; dann Schlagpütz und Ösfaß raus. Anke sitzt hustend im qualmenden Motorraum, beräumt den explosiven Keller, ich zerre die sperrigen Radtaschen raus. Rein in die verqualmte Heckkabine, Matratze weg, Taschenlampe zwischen die Zähne, Hammer und Brecheisen finden zum Aufbrechen der Innenverkleidung des Schalthebels. Schnell wieder raus zum Wasser und Frischluft schöpfen. Die brennenden Züge löschen und abkühlen, glühenden Schalthebel kühlen, glimmende Holzverkleidung löschen, glühende Drähte von Kühlwasser- und Abgasschläuchen mittels (vollen) Coladosen entkoppeln. Und noch einen Eimer. Und noch einen. Berühren die nun blanken Drähte der Züge Teile des Rumpfes sprühen immer noch Funken. Motorhauptschalter! Hatten wir vergessen. Nach einer guten halben Stunde ists vorbei, alles ruhig. Der Motorraum schwimmt, in der Bilge überall schwarzklebrige Reste der Zughüllen, zwei tiefe Furchen im Kühlwasserschlauch aus denen die Spiraldrähte blitzen, ein Kerbchen im Abgasschlauch, ausgefranste schwarze Schlitze in den Farbkisten, eine nasse, übel muffende Matratze in der verrußten Heckkabine. Sonst alles okay. Es stinkt nur ekelhaft, und wir werden noch nach Tagen den klebrigen Geschmack verbrannten Kunststoffs auf der Zunge haben.

FreiKerl dümpelt im Beilieger. Wir sitzen vollkommen nass und verdreckt und fassungslos über der Motorluke, rauchen selbst und löschen unseren Durst. Wegen des ungleich kürzeren Weges entscheiden wir uns zur Umkehr nach Porto Santo. Dank aufgefrischten Windes können wir segeln. Ich klemme mich in den Motorraum und versuche zu „macgyvern“. Drei Stunden später lässt sich – mit ein wenig Geschick – das Gas wieder aus dem Cockpit heraus über die gekappte Seele des Bowdenzuges, die ich mit einem Pumpenschnorchel isoliert und durch den teildemontierten Motordeckelverschluss geführt habe, bedienen. Zum Gangeinlegen muss allerdings jemand runter in den Motorraum. Sicherheitshalber bandagiere ich den angekokelten Seewasserschlauch und verpasse ihm eine provisorische Dichtmanschette. Nach erfolgreichem Probelauf und erwachter Zuversicht beschließen wir wiederum kehrt zu machen, auf den geplanten Kurs. Wir haben nur 7 Stunden verloren und wer weiß, wann wir wieder ein so passendes Wetterfenster finden. Azoren, wir kommen trotzdem. Irgendwie bekommen wir das Schiffchen in Santa Maria schon an den Steg. Schlimmstenfalls lassen wir uns reinschleppen oder rufen Hilfe zum Anlegen.

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Rasmus und Kollegen vom Fach sind uns gnädig. Die Opferschlucke waren vortrefflich investiert. Wir segeln stramm am Wind auf geplantem Kurs. Die alten Nordwestwellen sind beeindruckend, hügelig wie eine Endmoränenlandschaft, lang und träge. Es bereitet wahres Vergnügen auf sie hinauf zu rutschen und wieder ins Tal zu surfen, wie in der alten Holzachterbahn im Tivoli. Und wir grinsen uns an, stellen erleichtert fest, wir können wieder lächeln. Segeln kann auch schön sein. Mittwoch früh haut uns ein Squall eins auf die Nase, es schauert und böet, doch nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei und leider der gute alte Wind ebenfalls. Flaute. Nun gut, also testen wir MacGyvers Versuchsanordnung. Es läuft, Axel, es läuft. 24 h Testlauf hätten allerdings nicht sein müssen. Donnerstag, der frisch angesprungene Wind zwingt uns mit 5 – 6 bft sodann auch gleich ins zweite Reff und zu verkleinerter Genua. Aber die Richtung passt und wir kommen gut voran, kassieren noch 3 Squalls mit kurzen Güssen und Geknatter in den Segeln. Unsere sanften Achterbahnwellen sind leider passé. FreiKerl kippt über die Schaumkämme und rumst dröhnend ins Wellental. Bullriding II, und abermals zwei Tage auf der schiefen Bahn sind angesagt. Wieder hängt das Handtuch diagonal an der Wand, der Wasserstrahl zielt neben das Becken, die Luvbeine verkürzen sich. Ein Schapp zu öffnen ist immer wieder spannend, da man nie weiß, was einem in welcher Höhe entgegen geschossen kommt. Das drollige Drama um das für einen Toilettengang unerlässliche Herausschälen aus den Segelklamotten, und die an die (Miss)Geschicke des Monsieur Hulot erinnernden Versuche, sich einhändig wieder hinein zu winden und die auf arger Schräge verrutschten und verwurschtelten Hosenträgerpaare, die man garantiert jedes zweite Mal zwischen den wackeligen Beinen wiederfindet, zu sortieren, übersteigt meine beschreibenden Fähigkeiten und sind eher ein Filmchen wert.

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Unsere Freunde aus den nordatlantischen Delfinschulen tragen wenig zur Unterhaltung bei und zeigen sich sehr zurückhaltend auf diesem Trip. Lediglich drei einsame Langweiler verirrten sich kurz an unsere Seite. Am vierten Morgen entdeckten wir verblüfft einen verendeten Kalmar, der sich am Bug unter der Fußreling verklemmt hatte. Hatten wir den aufgegabelt als wir unseren Bug tief durch eine Welle schaufelten? „Unseren“ Wal hörten wir bevor wir ihn sahen. Das schnaubende Blasen kennen wir. Nur 20 m neben uns prahlt er mit seinem endlosen Rücken. Okay, er war wirklich länger als wir. Eine einsame Schildkröte paddelt vorbei. Mehr gibt die Fauna in den fünf Seetagen nicht preis.

15 sm vor Santa Maria, die östlichste Azoreninsel ist schon seit Stunden in Sicht, dreht der Wind immer weiter auf Nordwest, als wollte das „himmlische Kind“ uns foppen und an Santa Maria vorbeijagen. In der Ferne, dicht unter Land am Ostkap, können wir unsere Gipsy-Freunde ausmachen und freuen uns schon aufs Wiedersehen. Um uns herum kreiseln weitere Schauerwolken und fächern Regenbahnen aufs Wasser, verschonen uns jedoch auf wundersame Weise. Klar zur Wende. Ein uns eher unbekannter Ehrgeiz erweckt den unbedingten Willen bis vor die Hafeneinfahrt zu kreuzen. Aber Pustekuchen, der schabernäckische Gevatter Wind tänzelt uns im Windschatten der Insel aus, und letztlich sind wir doch zu müde, und der Wunsch bei Tageslicht anzulegen obsiegt über den bereits nur noch flach flackernden Ehrgeiz. Auf den letzten drei Meilen erstirbt der Wind auch zusehends. Wir töffeln in den hübschen, einladenden, fast leeren und gut geschützten Hafen, Anke hockt unten hinterm Motor und bedient Schaltung und Gas auf meine freundlichen Zurufe hin, und wir parken unsere lädierte Konserve geschmeidig und butterweich ein. Voilà.

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Hafen von Santa Maria

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Vielleicht kommt der Herrgott nicht umhin, in der Nähe so heiliger Flecken selbst den segelnden Heiden seine schützende Hand anzubieten? Und, jawohl: was wäre die Segelei ohne Glück.

Glück, und der Riss im alten Kunststoffdeckel des Schaltgehäuses, der das alarmierende Rauchfähnchen neben Ankes Lieblingsausguckplatz freigegeben und in ihre feine Nase gelenkt hat …

Unsere bretonischen Freunde biegen ein Stündchen später um den Molenkopf. Wir verabreden uns für morgen Abend. Der wackere FreiKerl und wir selbst werden ausgiebig gesüsswässert, die Leinen und Segel geordnet. Gedanken ordnen und Ursachensuche verschieben wir. Noch ein Schläfchen hier, ein Gläschen da. Wir trudeln zufrieden herum und schlafen bald einen gerechten Murmeltierschlaf. Über Nacht schlich sich eine Ovni mit norwegischer Flagge am Heck an unsere Seite. Neugierige Kontaktaufnahme und Austausch der wichtigsten Eckdaten, dem woher, wohin, warum und wie lange sind naheliegend, und so sitzen wir am Abend zu sechst bei den beiden Norwegern in der gemütlichen Kuchenbude und salbadern übers Leben, die Liebe, das Reisen und Segeln. Was man bei solchen Begegnungen erfährt und lernt, vermitteln weder Schulen noch Universitäten, und doch erfährt man ungleich mehr über die Menschen und Kulturen, und erkennt die wirklich wertvollen Seiten, die unser Dasein ausmachen, und wir sind höchst dankbar für jeden dieser bereichernden Abende.

Montag ist FreiKerltag. Wir räumen auf, legen trocken, putzen, beseitigen Brandspuren, erstehen in der kleinen Werft neue Bowdenzüge und spazieren durch das hübsche Hauptörtchen Vila do Porto überm Hafen. Und, es wird Zeit, mit Tilo, dem Bordelektriker unseres Vertrauens aus der Werft unseres Vertrauens in Stralsund das Vorgehen der Fehlersuche abzustecken.

Dienstag erkunden wir gemeinsam mit den kleinen Bretonen im Mietwagen die Insel. Und wir sind echt begeistert. Es ist zauberhaft. Die älteste und zweitkleinste der neun Azoreninseln ist auch vulkanischen Ursprungs und somit ebenso hügelig bis bergig (bis knapp 600 m), satt und üppig grün und fruchtbar, und lockt mit Wasserfällen, Sandstränden, steilen Felsküsten, Weinbergen, terrassierten Gärten und blitzsauberen Dörfchen mit strahlend weißen Häusern. Ein herrlicher Ausflug mit wunderbaren Menschen.

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und wieder Mal: Inselblick

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Mittwoch ist hier Feiertag: Tag der Freiheit. Wir huldigen IHR, indem wir Sie uns nehmen, und faulenzen (auch wenn `s schwer fällt), lesen, schreiben, herumscharwenzeln, und beschließen den anstrengenden Tag mit dem Abschiedsbesuch von André und Chantal, die es etwas eiliger haben und morgen bereits nach Sao Miguel, der Azoren-Hauptinsel (vor)fahren. Schließlich warten die Enkel.

Donnerstag wird es höchste Zeit: Standleitung mit Tilo in Stralsund. Nach zwei Stunden „den Hausflur durch den Briefschlitz tapezieren“, blutenden Fingerknöcheln und fusselig gefluchten Mundwinkeln haben wir alle Batterien und den Fehler raus. Harrr, wer hat denn diese Sche… hier verzapft? Offenbar hat sich bei starker Lage eine unserer vier Verbraucherbatterien (genau die eine, an die man nicht rankommt) ein wenig verschoben (was ich gut verstehen kann), und einen der Kabelschuhe der angeschlossenen Pluskabel gegen einen Stringer, eine der Längsversteifungswände auf dem Schiffsboden gepresst und somit die gesamte blecherne FreiKerlwanne auf Plus gesetzt. Die an sich vollständig isoliert stehende Maschine hat mit ihrer Masse über die Bowdenzüge zum Schaltgehäuse im Cockpit unvermeidlich Kontakt mit dem Rumpf. Und so gab `s dann den Kurzen auf die volle Batterieladung. Das musste fackeln. Nun also alle Akkus wieder sorgfältig einfädeln, die „tückische Versteckte“ mit dicker Gummimatte isolieren, alle Batteriekabel sortieren, wieder aufklemmen und richten, nochmal und nochmal durchmessen. Alles ist so wie`s sein soll. Die schicken neuen blauen Bowdenzüge (passen auch viel besser zum blauen Motor als die ollen schwarzen) für Gas und Schaltung verlegen, justieren, testen. Welch ein Tag, alles klappt auf Anhieb. Ja, auch des Bordmechanikers Handwerk wäre nüscht ohne Glück.

Unsere Nachbarn aus dem hohen Tromsö liegen auch schon seit zwei Tagen an Land unterm Heck und reparieren ihr Ruder. Es ist eben nicht alles eitel Sonnenschein im internationalen „Lager für Arbeit und Erholung“. Am Freitag feiern wir Vier gebührend die gelungenen Wiederbelebungen unserer Schwimmheime, und vor allem das Leben vor dem Tode.

Letzter Santa-Maria-Landgang und Abreisevorbereitungen bestimmen den Samstag. Außerdem werden wir von Xavier, unserm Nachbarn zur rechten zur Schiffsbesichtigung eingeladen. Der stille, etwas entrückt wirkende Bursche mit den Haaren verkehrt herum hat seinen hölzernen Gaffelsegler als Kopie eines bretonischen Langustenfischers selbst gezimmert. Ein bewundernswertes Projekt. Ihm war auf der Fahrt von den Kapverden hierher der Klüverbaum gebrochen, und so blieb auch ihm mehrtägiges Werkeln mit Säge, Hammer und Sichel nicht erspart.

Sonntagfrüh brechen wir, kaum zu glauben, eine Stunde vor den verschlafenen Norwegern nach Ponta Delgada auf. 55 sm, nur ein Tagestörn. Das hatten wir schon ewig nicht. Dafür ziehen wir uns doch nicht mal das Ölzeug an.

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Galerie Überfahrt zu den Azoren:

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Galerie Santa Maria:

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