Schönes "Nachtsegeln"

60 ° Nord, 1 ° West

Utsira – Lerwick (Shetland)

Pfingstmontag früh um 4 schleichen wir uns durch die Felsen. Richtig dunkel wird es hier ohnehin nicht mehr. Was bei der Einfahrt bedrohlich wirkte, sieht nun aus wie liebliche Schärenlandschaft, das Wasser streicht nur sanft gegen die Felsen. Die aufgehende Sonne zwinkert uns noch kurz zu, als wollte sie uns eine gute Reise wünschen. Dann zieht sie sich hinter tiefe Haufenwolkenbänder zurück, wie angekündigt. Rasmus wird mit bestem Überseerum korrumpiert. Unser Ostwind soll erst gegen Mittag einsetzen, bis dahin ist die See glatt und wir bemühen die Maschine und den Autopiloten. Anke versucht noch etwas Schlaf zu finden, um möglichst ausgeruht zu sein für die kommende Nacht. Ich stiere und starre (Stier und Star sind schließlich unsere Wappentiere geworden und begleiten uns auf dem Wimpel unter der Backbordsaling) derweil auf Wellen und Wolken des Seegebietes Viking, das wie Dogger, Fisher und Utsira bislang nur ein fiktiver Begriff der Seewettermeldungen war.

Pünktlich können wir mittags die Segel setzen und ziehen mit 5-6 kn gen Westen. Am Abend funkt uns ein Kabelleger an und bittet uns freundlich nach Norden auszuweichen. Das passt uns nicht so recht, da wir schon an der Kante laufen. Parallel dazu rauscht ein Regensquall heran uns zwingt uns zu raschem Reffen. Die Kabelleger sind ein ganzer Tross, die Leitungen mit den Bohrinseln verbinden. Im Grenzgebiet zwischen Norwegen und Großbritannien sind die Öl- und Gasbohrplattformen dicht gesetzt und in der Dämmerung wirken die grell beleuchteten Giganten wie bedrohliche außerirdische Raumstationen. Wir beschließen die Kabelleger nicht zu versenken und fahren den gewünschten Bogen. Der Nachtwind bleibt nun konstant und wir machen mit gereffter Genau und dem zuverlässigen „Peter“, mit dem wir uns gut angefreundet haben, gute Fahrt.

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Die Windsee nimmt allmählich zu und ergibt mit dem alten Schwell aus Nordwest ein Geschaukel, dass das schwere Vorsegel immer wieder einklappen lässt und zwingt uns somit, die Erkenntnisse aus der „Baumschule“ in die Tat umzusetzen. Und das klappt wie gewünscht: stabiles Segel, mehr Fahrt und besserer Kurs vor dem Wind. Der neue Beschlag, mit dem ein Ende des Baumes immer fest am Mast bleibt, war ebenfalls eine gute Investition. Wieder mal: danke Atze, Deine Pionierarbeit wird von uns wiederum sehr gewürdigt. Die Nacht ist nach unserem Verständnis gar keine, es dämmert für 3 Stunden. Man kann trotz bewölktem Himmel immer alles deutlich erkennen. Für eine halbe Stunde blinzelt die aufgehende Sonne wieder verkniffen zwischen dichten Wolken hindurch, als wolle sie uns wecken und am neuen Tag begrüßen. Ab Dienstagmorgen wird es etwas eintönig, nix zu sehen, kein Schiff, keine Raumstation, ganz selten ein Fischer. Aber wir freuen uns, dass wir den Kurs segeln können und gut in der Zeit liegen. Der angekündigte satte Regen stellt sich zuverlässig ein und das Segelzeug kann zeigen, ob es sein Geld wert ist. Die letzten Stunden ziehen sich, und – wie es angeblich für die Shetlands typisch ist – ziehen sich die Wolken bis aufs Wasser runter, d.h. es ist nix zu sehen und schüttet wie aus Eimern.

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Die letzten 5 sm der Einfahrt von Süden fühlen sich nicht wie ein herzliches Willkommen an. Die ca. 15 Gästeplätze an Victoria-Pier und Albert-Dock sind überraschender Weise belegt (für die Norweger ist eben Saison, und da wird gesegelt!) und wir gehen ins Päckchen an ein schweres Ferrozementboot mit größerem Reparaturstau. Lerwick erscheint sehr grau, was nicht am Wetter liegt, sondern tatsächlich an den verwendeten Baumaterialien. Der erste Eindruck ist, wir wollen zurück nach Norwegen. Aber vorerst genießen wir glücklich beim Belohnungsschluck das sehr befriedigende Gefühl eine gute 200-Meilen-Etappe gefahren zu haben. Wir befinden uns nun über dem 60. Breitengrad und in westlicher Länge; nix mehr Ost …

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